Dienstag, 26. Januar 1999

NZZ Tagesausgabe

Neue Zürcher Zeitung SPORT Montag, 25.01.1999 Nr. 19  41

Vorteil «Sion 2006»

Die Mienen der Führungscrew von «Sion 2006» haben sich an den Gestaden des Lac Léman sichtlich aufgehellt. Dazu haben die Promotoren der Schweizer Olympiakandidatur auch allen Grund, denn schliesslich ist ihr Dossier von der IOK-Evaluationskommission besonders hervorgehoben worden. Oder besser: Die Bewerbungsunterlagen von «Sion 2006» boten offenbar am wenigsten Angriffsfläche - deutlich weniger als jene von Turin, Poprad-Tatry, Helsinki, Klagenfurt und Zakopane. Auch wenn bewusst auf eine qualitative Reihenfolge verzichtet wurde, lässt der Report kaum Zweifel an der Interpretation: «Sion 2006» hat die Hausaufgaben besser gemacht als alle anderen.

    Nach Wochen der Aufregung und des Bangens - noch immer weiss man nicht, ob sich der durch die öffentlichen Verlautbarungen des Schweizer Exekutivmitglieds Marc Hodler entfachte Jahrhundertskandal im IOK positiv oder negativ auf die Schweizer Chancen auswirkt - scheinen sich Bundesrat Adolf Ogi und seine Walliser Gefolgsleute wieder in jener Favoritenrolle zu wähnen, in der sie sich vor den Erschütterungen im IOK befanden. «Sion 2006» verfügt zwar nicht über die grössten finanziellen Mittel, vermag insgesamt aber doch am meisten zu überzeugen - was nicht heisst, dass die fünf anderen Kandidaturen nicht auch in der Lage wären, Olympische Winterspiele zu organisieren.

    So ist zu betonen, dass der Evaluationsbericht nur Information und Gedankenstütze für jene IOK-Exponenten sein kann, die am 19. Juni in Seoul ihre Entscheidung treffen - diesbezüglich sind schon bei anderer Gelegenheit gehörige Überraschungen eingetreten. Deutlich mehr Gewicht müsste dem Report allerdings dann zugesprochen werden, wenn die bisher üblichen Besuche der IOK-Mitglieder in den Kandidatur-Städten ein Ende fänden und die üppigen finalen Präsentationen in Seoul wirklich drastisch entschlackt würden. Dann wären die von der Untersuchungsgruppe zusammengetragenen Fakten wirklich auch die Gradmesser der Kandidaturen. Sie wiederum gereichen den Wallisern zum deutlichen Nachteil - um so mehr, als durch die skandalträchtigen Ereignisse im IOK die Glaubwürdigkeit unter den fünf Ringen nur dann wieder hergestellt werden kann, wenn die Erkenntnisse der mit wesentlich mehr Sachverstand als die Vollversammlung ausgestatteten Evaluationskommission ernst genommen werden. Ohne chauvinistische Gefühle zu verströmen: «Sion 2006» kann guten Mutes in die Zukunft blicken und sich nun daran machen, aus der Walliser Kandidatur eine gesamtschweizerische zu machen.

jam.

 

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